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»beauty under construction«.

Isabell Schenk-Weininger

Zur Bildwelt Bodo Korsigs

Was geschieht im Gehirn eines Verliebten oder eines Amokläufers? Wie funktioniert das Gedächtnis oder das Empfinden von Schönheit? Was macht die Persönlichkeit eines Menschen aus? Inwieweit bestimmen biochemische Substanzen unsere Gefühle und Handlungen? Sowohl Mediziner und Psychologen als auch zunehmend Philosophen und Kulturwissenschaftler beschäftigen sich mit solchen Fragen nach den Strukturen menschlicher Wahrnehmungs- und Verhaltensweisen, deren hochkomplexe Prozesse an die Grenzen der jeweiligen Fachgebiete führen.

Bodo Korsigs Grafik »Where can I buy a new brain?« hängt im Büro des Nobelpreisträgers Eric Kandel, dem Gründer des Center for Neurobiology and Behavior an der Columbia University in New York. An dessen Forschungsinstitut hat Bodo Korsig vor ungefähr sieben Jahren begonnen, sich intensiv mit der Thematik auseinanderzusetzen und sich ihr mit dem spezifischen Ansatz der Kunst zu nähern. Seither gibt es in seinen Arbeiten Motive, die den Laien an Zellstrukturen, Synapsen und Gehirnwindungen erinnern. Daneben spielen Werktitel und Bildinschriften auf die Hirnforschung an. Mit seinem Interesse steht er nicht allein, lässt sich doch seit mehr als einem Jahrzehnt unter Künstlern eine verstärkte Hinwendung zu den Naturwissenschaften feststellen.1

Dabei haftet den Werken Bodo Korsigs nichts Nüchtern-Wissenschaftliches oder Intellektuell-Verkopftes an, vielmehr handelt es sich um ein Formenrepertoire von starken visuellen Bildzeichen, die auch ohne die thematische Bedeutungsebene eine enorme autonome künstlerische Wirkung entfalten. Die abstrakten Formen, die ganz auf die Kraft der grafischen Linien setzen und selbst in der Skulptur auf Dreidimensionalität weitgehend verzichten, prägen sich dem Betrachter wie Logos aus der Werbewelt ein, obwohl sie ungleich komplizierter sind. Sie erscheinen fremd und doch eigentümlich vertraut, sind teilweise inspiriert und abgeleitet von medizinischen Darstellungen, teilweise aber auch von Alltagsgegenständen, die sich dann nur scheinbar in den Gesamtkontext einfügen. Ist hier tatsächlich eine falsch zusammengewachsene Wirbelsäule, da eine Schaltstelle im zentralen Nervensystem und dort eine Kolonie von Viren oder Bakterien zu sehen? Der Mediziner verneint. Wir befinden uns im Reich der künstlerischen Erfindung, die den Betrachter lediglich auf eine Fährte setzt und dann zahlreiche Assoziationen zulässt.

Bodo Korsigs Bildwelt ist spröde und dekorativ zugleich. Wenn er mit Verdopplung und Vervielfachung von Bildelementen, deren Reihung, Verknüpfung und Anhäufung arbeitet, wenn er Symmetrien und Spiegelachsen anlegt, bezieht er sich sowohl auf die Gestaltungsprinzipien der Natur als auch auf die frühesten ästhetischen Äußerungen der Menschheit, das Ornament – »beauty under construction«. Symmetrie ist bekanntlich ein konstitutives Moment von Schönheit, mathematisch-exakt wäre sie jedoch spannungslos und langweilig. Der besondere Reiz von Bodo Korsigs Bildwelt liegt denn auch darin, dass er die stark reduzierten und klar konzipierten Formen mit großer Sensibilität und Lebendigkeit umsetzt. Obwohl bei seinen Objekten das Material nicht sofort identifizierbar ist, tragen sie Spuren des Arbeitsprozesses und bleibt die Entfernung des Materials durch die unregelmäßigen Kanten der stehengebliebenen Stege nachvollziehbar.2 Dadurch wirken die an Scherenschnitte erinnernden Reliefs fragil und robust zugleich. Bei den Holz- und Linolschnitten ist das Arbeitsprinzip quasi umgekehrt. Hier schneidet und ritzt Bodo Korsig feine, nervöse Linien in den Holzstock oder die Linolplatte. Traditionellerweise wird diese Technik Weißlinienschnitt genannt, weil die eingeschnittene Linie im Druck weiß erscheint. Bodo Korsig druckt jedoch den weiß eingefärbten Stock auf einen schwarzen Untergrund. Die nun dunkel erscheinenden Ritzungen haben so die Spontaneität von Handzeichnungen.

Bekommen die großen Flächen der Grafiken durch die leichten Unregelmäßigkeiten des Drucks Struktur, so ist es bei den in geringem Abstand von der Wand aufgehängten Reliefs insbesondere der einkalkulierte Schattenwurf, der diesen Lebendigkeit verleiht. Während Bodo Korsig alle seine Skulpturen – ob sie aus Holz, Aluminium oder Keramik bestehen – schwarz bemalt, was ihre jeweilige Materialität in den Hintergrund treten lässt und die grafischen Qualitäten im Kontrast zur weißen Wand hervorhebt, setzt er bei den Holz- und Linolschnitten stets Farbe ein. Die Bildfelder sind zwar ebenfalls ausschließlich schwarz-weiß gehalten, doch ordnet er diesen balkenartige, starkfarbige Flächen zu, die knappe schriftliche Statements enthalten. Die meist intensiven, satten Farbtöne bringen eine weitere, emotionale Komponente ins Spiel. Besonders häufig verwendet der Künstler ein kräftiges Rot, das im Kontext als Blutrot interpretiert werden könnte, sicherlich jedoch – wie jede Farbe – über die relativ nüchterne Formensprache der schwarz-weißen Bildfelder hinausgehende Gefühlswerte vermittelt.

Ein wichtiger Aspekt bei der Wahrnehmung von Bodo Korsigs Werken sind auch die zum Teil beträchtlichen Formate. Da der Rezipient ab einer gewissen Größe nicht mehr nur vor einem Bild oder einem Relief steht, sondern intuitiv körperlich Bezug darauf nimmt, kann er gar nicht distanziert bleiben. Die Bildelemente erinnern zudem häufig an mikroskopische Vergrößerungen, die durch den Künstler noch einmal potenziert scheinen. Wie beim Blick durch das Mikroskop, bei dem winzige Lebewesen zu Monstern werden, die den Mikrokosmos zu beherrschen scheinen, und bei dem für den Laien ästhetisch reizvolle Strukturen und Formen vom Experten eventuell als Defekt und Krankheit gedeutet werden, ist auch Bodo Korsigs Bildvokabular – insbesondere in seiner monumentalen Vergrößerung – faszinierend und erschreckend zugleich.

So frei der Künstler bei seiner Formfindung mit der neurobiologischen und medizinischen Bildwelt umgeht, so wenig lehnt er sich bei seinen Textfragmenten an die Wissenschaftssprache an. Vielmehr kreiert er poetische oder provokative, rätselhafte oder schlagwortartige Sentenzen zu so existenziellen Themen wie Liebe und Sexualität, Leben und Sterblichkeit, Vergessen und Erinnern, Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft. Häufig wird der Betrachter dabei direkt angesprochen – »Du verwirrst mich«, »erase your past«. Bei Text-Bild-Kombinationen besteht jedoch die Tendenz, dass der Text das Bild auf eine eindeutige Lesart festlegt, weshalb Roland Barthes vom Text als einer »parasitären Botschaft« spricht.3 Da Bodo Korsig allerdings sowohl das Bild als auch den Text ausgesprochen bedeutungsoffen hält, bietet er dem Betrachter die Möglichkeit, beide Botschaften in Interaktion treten zu lassen. Wie bei seinen Künstlerbüchern und Leporellos, für die er mit Dichtern und Schriftstellern wie John Yau, John Ashbery und Scardanelli zusammenarbeitet, sind seine Bilder keine Illustrationen zu Texten, sondern gleichberechtigte Partner für Assoziationen und Irritationen. Und so kann im Medium der Kunst auf spielerische Weise an der Schnittstelle von Alltagserfahrung und naturwissenschaftlichen, philosophischen und ethischen Fragestellungen über eine Neubestimmung der traditionellen Trennung von Körper und Geist, über den biologischen Aspekt unserer Gedanken und Gefühle und über die Unsicherheit der menschlichen Existenz reflektiert werden – »All things considered!«, »All things considered?«

1 Vgl. Susanne Witzgall: Kunst nach der Wissenschaft. Zeitgenössische Kunst im Diskurs mit den Naturwissenschaften. Nürnberg 2003 (zugl. Diss. Stuttgart 2001).

2 Die meisten Objekte sind aus Spanplatten herausgesägt. In jüngster Zeit entstehen auch Aluminiumobjekte, wobei die Form zunächst aus Styropor ebenfalls gesägt und dann in Aluminium gegossen wird.

3 Roland Barthes: Die Fotografie als Botschaft (1961). In: ders.: Der entgegenkommende und der stumpfe Sinn. Kritische Essays III. Frankfurt am Main 1990, S. 11–27, hier S. 21.