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No worries!

Die Ausstellung von Bodo Korsig steht unter dem Motto No worries! Eine Ausstellung also, die zur Sorglosigkeit einlädt, Kein Problem!

Tatsächlich vermittelt der erste Eindruck ein Wohlgefühl. Es kann zwar irritieren, dass die Werke so grundverschieden voneinander sind und aus den unterschiedlichsten Materialien –überdimensionierte Keramiken mit schwarzer Engobe, die Bronze oder Gusseisen vortäuschen, eine leuchtend rote Neonschrift auf Plexiglas, eine Objektassemblage aus weißem Pappmaché, Holzschnitte in Öl auf Leinwand, Objekte aus poliertem Chromstahl und noch Videos. Auch die ungewöhnliche Größe der Objekte, wie zum Beispiel das Hirn, in dem sich der Ausstellungsbetrieb widerspiegelt, das Ausreizen aller Möglichkeiten des Materials, vor allem was die Dimensionen angeht, fällt auf, und es kann noch viel extremer sein, wenn Korsig Straßenwalzen für die Prägung seiner monumentalen Holzschnitte verwendet. Dennoch wirkt das Ensemble der Ausstellung wie eine Installation, luftig gehängt und wie zufällig auf den Boden gestellt. Der Raum atmet und lädt zum Begehen ein, zur beschaulichen Kontemplation.

Ein Teil der Werke geht ein Stück weiter und lädt zum spielerischen Umgang ein: So Dance with the devil, das aus fünf von der Decke hängenden, birnenförmigen Keulen besteht, die mit ihrer taktilen, schwarzen Keramikoberfläche den Betrachter förmlich dazu einladen, sie anzufassen und sie mit einem Schups in Schwung zu bringen. Wer es wagt, glaubt den Tanz der Derwische zu sehen. Die Mutigsten werden vielleicht selbst dazu animiert, mit den taumelnden Keulen in Interaktion zu treten und dazwischen zu tänzeln. Das könnte bei mangelnder Aufmerksamkeit gefährlich werden. Wie sollte es anders sein, wenn man mit dem Teufel tanzt? Jeder kennt die verführerische Anziehungskraft des Verbots, die Lust, Grenzen zu überschreiten und das Verbot zu ignorieren. Zugleich meldet sich die Angst, Geborgenheit und Sicherheit zu verlieren. Immer meldet sich bei wichtigen Entscheidungen das Kribbeln im Bauch. Wir stehen wie Herkules am Scheidewege und müssen uns für pro oder contra entscheiden. Bodo Korsig macht uns mit seinen Werken auf unsere eigenen inneren Kämpfe aufmerksam, er konfrontiert uns mit unseren Beziehungskonflikten, formal wie auch inhaltlich.

So reich die Palette der verwendeten Materialien ist, so reduziert ist sein Formenschatz. Er verwendet wenige organische Elemente, die er im Sinne von Piktogrammen abstrahiert und teilweise deformiert. Es sind Amöben, Spermen, Spinnen, Synapsen, Neuronen, Kraken, Schnuller, Keulen und die menschliche Figur. Sie vernetzen sich, verdichten sich oder expandieren auf der Bildfläche oder im Raum. Auf dem Papier oder dem Ölbild wirken die noch so kleinen Formen, wie ins Bildhafte verwandelte Skulpturen. Das liegt daran, dass die Motive ohne Binnenstruktur als eine dichte, haptische Masse wahrgenommen werden, die zudem auf der Fläche verortet sind. Anders formuliert wird bei aller Abstraktion Raum suggeriert. Dies gilt im Besonderen bei den monumentalen Zeichnungen, die in direktem Bezug zum reellen Raum stehen und sich mit der Architektur vermählen.

Dieser Formenschatz verweist auf quirliges, unbändiges, wild wachsendes Leben. Das hat allerdings auch etwas Bedrohliches an sich, denn es könnten auch Krankheitserreger dabei sein, ganz abgesehen von der Möglichkeit einer außer Kontrolle geratenen Vermehrung.

Welchem Sinn einer Arbeit zu geben ist, suggeriert oft das Wort, denn Bodo Korsig arbeitet mit Titeln, mit Worten im Werk, ja sogar mit ganzen Sätzen, wie im hier gezeigten Triptychon if it feels good DO IT. Der Schriftzug ist auf dem mittleren Paneel schwarz auf rotem Grund gemalt, links und rechts davon sind zwei Menschenköpfe, von denen ein Strahlenkranz ausgeht, in schwarz auf weißem Grund gemalt. In der Knappheit der Formulierung übernimmt Bodo Korsig die Sprache der Werbung – ein Aphorismus, starke Kontrastfarben, die Darstellung von zwei Menschen, die ihren Geist aussenden –. Nur der Zweck ist ein anderer, denn der Text fordert den Betrachter sehr direkt auf, dem Kribbeln in seinem Bauch, also seinem Instinkt zu folgen und unter Umständen auch den Tanz mit dem Teufel aufzunehmen. Eines soll er nicht, dem Hirn allein, also der reinen Vernunft, folgen. Das untermauert die Konfrontation mit dem anderen, an der gleichen Wand gehängten Kunstwerk Don’t follow me. Es stellt ein überdimensioniertes Hirn dar, besser gesagt, den Schnitt durch ein Hirn. Auf seiner matt polierten Chromstahlfläche widerspiegelt sich verschwommen das umliegende Geschehen und auch der sich ihm nahende Betrachter. Für eine kurze Zeit reflektiert das Hirn seine Umgebung im doppelten Sinn des Wortes: es verarbeitet die Information und hält zugleich dem sich in ihm Betrachtenden den Spiegel vor, eine Einladung auf Selbstbesinnung. Unterdessen ist die wissbegierige graue Materie mit neuen Impulsen beschäftigt und bereit, die eben neu erworbene Erkenntnis sofort wieder zu vergessen, wenn es nicht ins Schema seiner Interessen passt. Dieses Hirn steht vertretend für eine Gesellschaft, in der man sich mit vielen Menschen vernetzt, Visitenkarten austauscht, um sie nach ein paar Wochen wieder zu vergessen, weil keine ernsthafte Auseinandersetzung stattgefunden hat. Don’t follow me kann auch bedeuten, lass Dich nicht von Hirngespinsten, von Ängsten und Bedenken zurückhalten, sondern folge Deinem Gefühl, lebe Dein Leben, schöpfe es mit vollen Händen, was auch immer kommt.

Das kann auch ein Albtraum sein, wie im Video Tomorrow everything can be different. Eine Frau in Unterwäsche ist in einem Kubus eingeschlossen, der gerade so groß ist, dass sie mit ausgestrecktem Arm zur Decke reicht. Sie ist beklommen und versucht, sich zu befreien. Korsig hat den Film bildlich in drei Sequenzen unterteilt, indem das Bild für dreißig Sekunden erlischt. Nur die Musik gewährt die Kontinuität. In der ersten Phase sieht man, wie die verängstigte Frau die Wand abhorcht und abtastet, offensichtlich schreiend, was der Betrachter nur durch ihre Mimik wahrnimmt, denn er hört das wunderschöne beruhigende Quintett in C-Dur von Franz Schubert. Die Dramatik steigt in der zweiten Sequenz: Nun ist klar, dass jemand von außen mit der Axt die Wand durchbricht – unweigerlich denkt man an Shining. Die Wände werden mit brachialer Gewalt zersplittert und verwandeln sich durch die eigenwilligen schwarzen Löcher zu einer Grafik von Bodo Korsig.

In der letzten Sequenz kauert die vollkommen resignierte Frau auf dem Boden. Wandstücke prasseln auf ihren Rücken. Die Musik endet. Ob reelle Bedrohung oder Albtraum, bleibt offen. Anders als bei den physisch präsenten Kunstwerken bleibt der Betrachter vor diesem Video ein Stück weit unbeteiligt, denn die Musik schiebt sich zwischen ihn und die Wahrnehmung des tragischen Geschehens, das sich vor seinen Augen abspielt. Das Medium bringt eine Distanz, die Bild und Objekt nicht kennen. Damit prangert Bodo Korsig das Verhalten des Fernsehzuschauers, der täglich mit Gräueltaten konfrontiert wird und in der Regel ohne große Anteilnahme das Leid der Welt aus dem bequemen Sofa mit ansieht.

Eine in der Ausstellung nicht vertretene, besonders wichtige Werkgruppe sind die Künstlerbücher, die Großen und die Kleinen, die Bodo Korsig gemeinsam mit internationalen Autoren gestaltet. Dabei geht es nicht um Illustration der Poesie und umgekehrt auch nicht um Deutung der Bilder. Bild und Schrift sind autonom und ergänzen sich wie zwei Puzzlestücke (ein rekurrierendes Motiv in den Grafiken von Bodo Korsig). Oft verhält es sich so, dass der Autor Anweisungen bekommt, in welchen Bereichen er auf dem Blatt schreiben soll, denn das Bild verortet den Text, schafft einen Raum der Poesie. Das Bild zieht magisch den Blick an und leitet es zum Text weiter. Bild und Text wachsen zu einer künstlerischen Einheit. Und wie mit allem bei Bodo Korsig, kann auch ein Künstlerbuch ungewöhnliche Proportionen annehmen, wie das fast zehn Meter lange Leporello Magnolia, das er mit dem chinesischen Schriftsteller Zao Zhang ausführte.

Die Schrift kann sich bei Bodo Korsig auch verselbständigen, Objekt werden, wie beim knallrot leuchtenden Aphorismus Es leben die Verrückten, dem er eine ganze Wand widmet. Schaut man im Duden nach einer Deutungsmöglichkeit für „verrückt“, werden an die 100 Synonyme aufgelistet. Es gibt also unzählige Möglichkeiten, aus dem Rahmen zu fallen, positive wie negative. Im positiven Fall steht „verrückt“ für extravagant, originell, exzentrisch, unkonventionell, kurzum bezeichnet es etwas oder jemand, der das Leben mit anderen Inhalten anreichert, neue Perspektiven eröffnet, ein Umdenken ermöglicht. So gesehen kann es auch selbstreferentiell auf die Kunst bezogen werden, die immer wieder andere Blickwinkel einnimmt und neue Zusammenhänge erschließt. Es leben die Verrückten ist also eine Hommage an diejenigen, die das Leben mit Kreativität angehen und den Mut haben, den Weg der Gewohnheit zu verlassen. Neben diesen Aphorismus könnte man Gedankensplitter stellen, denn auch er weist auf einen Blitzesgeist (meinst Du Geistesblitz?) hin. Im Gegensatz zum Leitsatz, verhält es sich beim eleganten, polierten Chromstahlobjekt allerdings so, dass es nur das zu erkennen gibt, was der Betrachter selbst hinein liest. Sein Kreativitätspotential ist Bestandteil des Objekts, ansonsten bleibt dieser stumm.

Interessant ist, dass die Bestandteile einer Arbeit von Bodo Korsig in verschiedenen Konstellationen verwendet werden und durch die andere Form der Installation dann auch unterschiedliche Bedeutungen und Titeln annehmen. Dieses versatile Spiel mit dem Inhalt lässt sich besonders bei den unterschiedlichen Installationen, die auf die Keramikkeulen zurückgreifen, darstellen. Dance with the devil deutet auf einen geistigen Kampf mit sich selbst hin. Es stellt den Menschen dar, der zwischen seinen ethischen und moralischen Vorstellungen auf der einen und seiner Lust und Begierde auf Abenteuer auf der anderen Seite ringt. In der Stadtgalerie Saarbrücken wurden zahlreiche Keulen an die Seitenwände montiert, eine einzige hing vertikal in deren Mitte, sodass dort eine physische Bedrohungssituation entstand, die sich auch auf die Besucher übertrug, die sich durch die Installation ihren Weg bahnen mussten. Talking with the enemy hieß die Installation dort und vermittelte den Eindruck, es handle sich um einen archaischen Kampf um Leben und Tod – oder sollte der einzelne Krieger etwa ein Friedensangebot überbringen? Die Deutung blieb auch hier offen. In Donaueschingen wurde die Installation Triumph and defeat auf zwei Keulen reduziert, die eine stehend, die andere am Boden ausgestreckt. Hier ging es um Zweikampf, um den Gewinner und den Verlierer, im Krieg wie beim Sport oder in persönlich ausgetragenen Konflikten.

Es war einmal ist ein Konglomerat aus verschiedenen Pappmaché-Teilen, die exakte Nachgüsse ihrer gusseisernen Vorfahren sind. In einer früheren Installation wurden die Einzelteile auf den Boden gestreut. Man konnte jedes für sich betrachten, sich durch diese Relikte mit der Vergangenheit auseinandersetzen. Das es war einmal erhielt eine romantische Konnotation. Hier hingegen wurden die Objekte ohne großes Aufsehen auf einen Haufen geworfen. Es sind nicht einmal die Objekte selbst, sondern billige Artefakte. Gerade diese Distanz zwischen Objekt und Nachbildung, zwischen dem schweren, dunklen Gusseisen und dem leichten, weißen Pappmaché, führt schon in die Ebene der Erinnerung, die hier nun ad acta gelegt wird. Es ist eine Einladung, den Ballast der Vergangenheit über Bord zu werfen, ein weiser Vorschlag, alle Sorgen hinter sich zu lassen.

Die sinnlichen Arbeiten von Bodo Korsig laden ein, die eigene Position in Konfliktsituationen zu prüfen und der Angst zu widerstehen. No worries! Kein Grund zur Sorge. Es liegt in der Hand eines Jeden.

Danièle Perrier,

18. Mai 2014, Keramikmuseum Höhr-Grenzhausen