Neugierde, Rastlosigkeit und Reiselust kennzeichnen Bodo Korsigs Leben der letzten beiden Jahrzehnte. Seit der Wende pendelt der 1962 in Zwickau geborene Künstler zwischen verschiedenen Welten, vor allem seinen Wahlheimaten Trier und New York. Von den anderen Zwischenstationen einmal abgesehen, kam in den letzten Jahren noch Japan als eine Art dritte, wenn man das alte Zuhause mitrechnet, sogar vierte Heimat hinzu. Sprachlich schlägt sich die Grenzerfahrungen suchende Reisefreude des Künstlers in englischen Durchfärbungen seiner Sprache nieder. Anglizismen und englische Slogans prägen viele Werktitel, die ein wichtiger Bestandteil seiner Arbeiten sind. Sowohl seine Holzschnitte als auch seine Wandobjekte und Skulpturen werden von der Form und dem Titel bestimmt. Insbesondere seine über dreißig Künstlerbücher mit Texten von europäischen, asiatischen und amerikanischen Autoren belegen seine Affinität zu Sprache und Literatur.
Im Mittelpunkt der Ausstellung „Bodo Korsig – Limits“ in der Galerie Contemporanea stehen neue, überwiegend in 2010 entstandene, in Holz und 3 D Chromstahl ausgeführte Wandobjekte. Von den in poliertem Chromstahl gefertigten Arbeiten mit Spiegeleffekt – ein Material, mit dem der Künstler erstmals arbeitet – geht trotz der Schwere der Objekte eine gewisse Leichtigkeit aus, da die Spiegelung deren Schwere negiert. Darüber hinaus erzeugt dieser Werkstoff eine weitere Ebene: die des Widergespiegelten.
Bodo Korsig versinnbildlicht in den neuen Wandobjekten das menschliche Gehirn und die verschiedensten Gefühlsregungen. Diese Thematik zieht sich wie ein roter Faden durch sein Werk. Mögliche Verarbeitungswege und Aktivitätsmuster des Gehirns abstrahiert er zu skulpturalen Mustern. So zeigt das große, in poliertem Chromstahl ausgeführte Wandobjekt „Don’ t Follow Me“ die Gesamtansicht eines weit verzweigten Gehirns mit seinen filigranen Kontaktstellen, den so genannten Synapsen.
Nach wie vor ist das Gehirn und dessen Zusammenspiel mit dem Körper eines Menschen in vieler Hinsicht ein Mysterium. Was beeinflusst letztendlich unser Denken und Fühlen? Wer sind wir? Wo sitzt das Ich? So tragen zwei 2008 entstandene, große, eher filigran und breit vernetzt ausgeführte, schwarz bemalte Holzobjekte jeweils den beziehungsreichen Titel „Hidden Mind“. Anders als die Arbeit „Don’ t Follow Me“ werfen diese Werke einen Schatten auf die Wand, der als unmittelbarer Bestandteil dieser trotz ihrer Größe fragilen Objekte anzusehen ist. Die komplexere „Hidden Mind“-Wandarbeit mit den kreisförmig ausstrahlenden Fühlern ist von vorne schwarz und hinten rot bemalt, so dass sie einen roten Schatten auf die Wand wirft, was dem flachen Gebilde eine besondere Tiefe und Strahlkraft verleiht.
Ein plakativer, überdimensional großer Schnuller aus schwarzem Papier thematisiert Fragen nach der Kindheit, der Herkunft und der Genese eines Individuums. Erst auf den zweiten Blick fallen die noppenartigen Ausbuchtungen entlang der Kante des Schnullers ins Auge. Sie symbolisieren die Narben der Kindheit, die eine Persönlichkeit entscheidend mitprägen können. Die 2010 entstandene Arbeit mit dem englischen Titel “Happiness Is Expensive“ spielt auch auf die gesellschaftliche Verantwortung für Kinder an, die natürlich mit hohen Kosten auf Seiten der Gemeinschaft und der Familie verbunden sind. Darüber hinaus impliziert der Titel aber auch Gesellschaftskritik am westlichen Konsumverhalten und unserem stetigen Streben nach Glück in Form von mehr und besser.
Eine gewisse Unersättlichkeit verkörpert auch ein Oktopus aus glänzendem Chromstahl mit seinen sechs Fangarmen, die sich zum Ende hin verdicken. Das Tier versucht einzufangen, was möglich ist und trägt den bedeutungsschweren Titel „Greedy“. Gier, Hunger, Lebenshunger verbildlicht Bodo Korsig in Form einer Krake, die nicht zu kurz kommen möchte und ihre Arme überall hin ausstreckt. Das etwas unheimliche Wesen eines Kopffüßlers und der Titel wecken Erinnerungen an die Darstellungen der sieben Todsünden von Hieronymus Bosch und Pieter Bruegel, die Gier und Habsucht (Avaritia) in Form von komplexen Allegorien in allen möglichen Spielarten veranschaulichten und geradezu enzyklopädisch im Bild ausformulierten. Im Vergleich hierzu hat Bodo Korsig für Gier ein einfaches und prägnantes Symbol gefunden.
„You Are Me“ zeigt ein rudimentäres, amorphes Körpergebilde, das an siamesische Zwillinge erinnert. Von den beiden zusammengewachsenen Körperhälften erstreckt sich je ein Arm. Diese vereinen sich zu einem festen Händedruck. Die von zwei Polen zu einem Ziel ausgehende Verbindung ruft Assoziationen an Schlagworte wie „Gemeinsam sind wir stark“ und „Einer für den anderen“ hervor und erinnert an die Plakatkunst totalitärer Staaten zu Beginn des 20. Jahrhunderts. Darüber hinaus könnte das kleinere Objekt auch als eine Art Sinnbild für Paare fungieren, die in ihrer Beziehung mehr und mehr ihre eigene Identität aufgeben und in einem „wir“ aufgehen.
Wie bereits erwähnt, sind Bodo Korsigs Titel von Anfang an ein wichtiger Bestandteil seiner Werke. Sie stellen Schlagworte wie „Greedy“ in den Raum, überraschen durch neue Wortkreationen wie „Lovecancer“, stellen existenzielle Fragen, wie „What are you waiting for?“ und fordern den Betrachter zu einem bestimmten Verhalten auf, wie „Don’ t Follow Me!“, „No More Excuses“, „Erase Your Past“, und so weiter. Mit den Titeln versucht der Künstler die Betrachter mit seiner Kunst zum Nachdenken anzuregen und ihr Sehen und Denken zu beeinflussen. Über die Auseinandersetzung mit seinem Werk möchte er ihnen zu Selbsterkenntnissen verhelfen, die er durch seine Werktitel geradezu einfordert.
Die existenziellen Fragen, die uns Bodo Korsig durch seine Kunstwerke mit ihren tiefsinnigen Titeln stellt, zwingen uns innezuhalten und eigene Positionen zu erkennen. Verstärkt wird dies bei den Werken in Chromstahl durch deren Spiegeleffekte, die aus seiner Sicht die Selbstreflexion und die Suche nach der eigenen Identität wie eine Art Katalysator beschleunigen.
Über die inhaltlich schwere Kost von Anatomie und Psychoanalyse, Selbstreflexionen und Blicke in menschliche Abgründe, um die Bodo Korsigs Werke kreisen, sollten Betrachter aber nicht vergessen, mit den Augen dem bizarren Formenkosmos des Künstlers zu folgen und sich an der Poesie und Vielfalt seiner Kunstwerke zu erfreuen.
Dr. Ute Bopp-Schumacher
September 2010