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Eine nicht lineare Linearität

Eve Wood

Bodo Korsig hat zu fast allem eine „visuelle Meinung“, doch trotz seiner starken Überzeugungen zeigt er sich als ein wahrer Meister der dezenten Gesten, der sich sowohl dem Wunderbaren als auch dem Alltäglichen zuwendet. Für die meisten Betrachter sind Korsigs
Mixed-Media-Skulpturen aus poliertem Chromstahl, Holz und farbigem Papier wohl „Objekte
der Begierde“. Beschränkt man seine Werke nur darauf, wird man ihnen jedoch ganz und gar
nicht gerecht, denn jedes Werk repräsentiert ein System komplexer Ideen und Möglichkeiten.
Viele dieser Skulpturen lassen sich von einem ganz bestimmten Bild des Konsums ableiten.
So zum Beispiel der Schnuller, stachelig, durchlöchert und somit nutzlos, und das verchromte
Bild eines menschlichen Gehirns, zerfurcht von den eigenen synaptischen Schlaglöchern, Vertiefungen, Schluchten und Tälern. Das Leben ist schließlich nicht linear, und Korsig versteht die wunderbare und häufig rauschhafte Existenz des menschlichen Gehirns und vieler anderer Objekte unseres täglichen Lebens in dieser sehr „angeschlagenen“ Nichtlinearität. Unser Leben ist bestimmt von Ambiguität und der Undurchschaubarkeit des Unbekannten, auch wenn wir stets versuchen, all das, was uns umgibt, zu kontrollieren.
Jedes einzelne Element dieser Werke ist mit großer Sorgfalt und Präzision durchdacht und
konzipiert. Selbst die Titel, die Korsig seinen Werken gibt, zeugen von bewusster Sensibilität.
Arbeiten wie „Greedy“, aus verspiegeltem Chromstahl in Form einer Krake, sind auf trügerische Weise entwaffnend, da Korsig offensichtlich unser eigenes Menschenbild, das sich in dem verspiegelten Glas reflektiert, unserer „Menschlichkeit“ gegenüberstellt, die so häufig
von dem überwiegenden Bedürfnis beiseite gedrängt wird, etwas zu besitzen, das wir nicht
haben, sprich: der Gier. Die ausgestreckten Fangarme der Krake stehen für den gierigen Konsum all dessen, was uns umgibt, jedoch bleibt die Form dabei leicht und von ansprechender Eleganz, ein komplexes und schönes Objekt, wodurch dieses Werk angesichts seiner tieferen Bedeutung noch ironischer wird.
Andere Skulpturen erscheinen im Hinblick auf ihre narrativen Assoziationen verdichteter und
komplizierter. „Hidden Mind“ ist beispielsweise keine erkennbare Form an sich, sondern ein
amorphes Gebilde, das an eine mutierte, dem Meer entstiegene Amöbe erinnert. Dieses Werk
aus schwarzem verchromten Stahl mit einer rot bemalten Innenseite zeugt von einer sehr eigenwilligen Art der Wahrnehmung, bei der das Objekt nicht so sehr für eine bestimmte Idee
steht, sondern eher ein Symbol eines größeren Kompendiums von Gedanken und Verläufen
ist. Die Form erschließt sich nicht sofort, sondern ist scheinbar voll ausgereift der Vorstellungskraft des Künstlers entsprungen, obwohl sie auf eine Art von Mechanisierung, die Systematisierung des menschlichen Gehirns selbst oder den Mikrokosmos einer Zelle verweist, die an der Wand der Galerie freigelegt und öffentlich seziert wird. Löcher, Fragmente, Schnitte und eine Anzahl „visueller Unterbrechungen“ sind hier zu finden, und obwohl die Formen auf
eine bestimmte organische Organisation der Gestalt anspielen, liegt der tiefere metaphorische
Inhalt der Arbeit im „unterbrochenen Raum“, d. h. in den Pausen, den aufgebrochenen Rissen
und Spalten in jeder Skulptur.
Weitere Werke wie „You Are Me“ stellen die Verschmelzung zweier menschlicher Körper dar,
die in seltsam anmutender akrobatischer Verbindung durch Raum und Zeit schweben. Aber
auch hier brechen die verräterischen Löcher wieder den realen aktivierten Raum in den Körpern
selbst auf. Insbesondere bei dieser Arbeit scheint es mehr um die Verwandlung durch
Form und Bewegung zu gehen, da beide „Körper“ sich jeweils für den anderen aufgeben
und sich schließlich verbinden, um noch eine neue ansprechende Form zu schaffen. Diese Arbeit setzt eine Evolution der Zeit voraus, da die Körper vormals einzelne Energieeinheiten darstellten, die sich in eine einzige, vereinte, eindeutige Figur verwandeln. Korsigs Darstellungen von Schnullern, ob großformatig oder in tatsächlicher Größe, beschwören eigene Narrative herauf und verweisen direkt auf die Trennung von Form und Inhalt. Thema dieser Arbeit ist nicht so sehr die Funktion des Objekts, sondern die darin enthaltene metaphorische Bedeutung – der Schnuller als ein Beispiel moderner Ikonografie für die Kindheit, ein künstliches Trostobjekt als ein Symbol der „erzwungenen Ruhe“. Wir bringen uns dauernd auf künstliche Weise zur Ruhe, und der Schnuller stellt wahrscheinlich das wichtigste Objekt in einer Reihe von hergestellten Gegenständen dar, die dazu dienen, unsere gar zu menschliche Natur zu beruhigen. Als ein Objekt bietet der Schnuller eine seltsame Art der Täuschung, ein Mittel zur Ablenkung, und ist ein unzuverlässiges Gefäß der Erinnerungen. Bei seiner überdimensionalen Darstellung des Schnullers geht es Korsig nicht spezifisch um den Verlust oder das Vergessen von Erinnerungen, das langsame und ruhige Hineingleiten in die Nostalgie, sondern er hinterfragt vielmehr die Effizienz des Gedächtnisses als ein unzuverlässiges Werkzeug, mit dem wir unser Leben konstruieren und dekonstruieren.
Solche Gegenstände für Menschen besitzen genau wie andere einmaligere, organische Formen
eine komplizierte, strukturierte Vielseitigkeit, die es Korsig ermöglicht, eine tiefere und
fließendere Investition in die Form zu erkunden. Ob diese Objekte für den Betrachter erkennbar
sind, hat keine oder wenig Auswirkung auf ihre Bedeutung, da ihre „wirkliche Bedeutung“
nicht linear und letztendlich irrational ist. Korsig weist schließlich auf eine Zusammengehörigkeit zwischen den realen formalen Elementen der Skulpturen selbst und den sublimeren unterschwelligen Bedeutungen in den einzelnen Werken hin, durch die eine seltsam ansprechende Nichtlinearität entsteht, welche gewissermaßen auf mehreren Ebenen gleichzeitig Sinn zu machen scheint.