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Erase your past,

Kunstbetrachtung für Samstag, 5. August 2006

Bodo Korsig 2000

Holzschnitt/Leinwand

50 x 150 x 8 cm

„Erase your past“ – „Lösche Deine Vergangenheit aus“, diese provozierende Botschaft richtet Bodo Korsig in einem seiner Holzschnitte an die Besucher der Städtischen Galerie, in der gerade eine Einzelausstellung des in Trier und New York lebenden Künstlers zu sehen ist. Diese Arbeit gehört zu einer Werkserie, die seit 1999 entsteht und in der sich Bodo Korsig mit medizinischen, insbesondere jedoch neurobiologischen Fragen auseinandersetzt. Am Zentrum für Neurobiologie und Verhaltensforschung an der Columbia-Universität in New York hat Bodo Korsig damals begonnen, sich intensiv mit Hirnforschung auseinanderzusetzen und sich ihr mit dem spezifischen Ansatz der Kunst zu nähern. Seither spielen Werktitel und Bildinschriften auf die Thematik an und seither gibt es in seinen Arbeiten Motive, die den Laien an Zellstrukturen, Synapsen und Gehirnwindungen erinnern.

Der Holzschnitt „Erase your past“, der durch das Drucken mit Ölfarbe auf Leinwand nahezu den Charakter eines Gemäldes annimmt und durch das Aufziehen auf einen breiten Keilrahmen fast objekthaft wirkt, besteht aus einem Text- und einem Bildteil. Während das Bildmotiv schwarz-weiß gehalten ist, befindet sich der Text in einem starkfarbigen Bildfeld. Der Betrachter wird sowohl vom Text – „You“ – als auch von der Farbe – Rot – direkt angesprochen. Bei Text-Bild-Kombinationen besteht generell die Tendenz, dass der Text das Bild auf eine eindeutige Lesart festlegt, weshalb z.B. Roland Barthes vom Text als einer „parasitären Botschaft“ spricht. Da Bodo Korsig allerdings sowohl das Bild als auch den Text ausgesprochen bedeutungsoffen hält, weist er letzterem keine dominierende Rolle zu. Vielmehr eröffnet er ein Assoziationsfeld, in dem nach dem Umgang des Menschen mit seinen Erinnerungen und nach dem biologischen Aspekt des Gedächtnisses gefragt werden kann.

Die abstrakte Form auf der linken Bildhälfte erscheint – wie viele seiner Motive, die teilweise von medizinischen Darstellungen inspiriert und abgeleitet sind – fremd und doch eigentümlich vertraut. Ist hier, wie der Laie im Gesamtzusammenhang von Bodo Korsigs Bildwelt vielleicht vermutet, tatsächlich eine Zelle oder ein Organ zu sehen? Der Mediziner verneint. Wir befinden uns im Reich der künstlerischen Erfindung, die den Betrachter lediglich auf eine Fährte setzt und dann zahlreiche Assoziationen zulässt. Viele der Bildelemente erinnern jedoch an mikroskopische Vergrößerungen, die durch den Künstler noch einmal potenziert scheinen. Wie beim Blick durch das Mikroskop, bei dem winzige Lebewesen zu Monstern werden, die den Mikrokosmos zu beherrschen scheinen, und bei dem für den Laien ästhetisch reizvolle Strukturen und Formen vom Arzt eventuell als Defekt und Krankheit gedeutet werden, so ist auch Bodo Korsigs Bildvokabular – insbesondere in seiner monumentalen Vergrößerung – faszinierend und erschreckend, anziehend und abstoßend zugleich.

Bodo Korsigs Bildwelt ist sperrig und spröde, zugleich jedoch dekorativ und ästhetisch reizvoll. Häufig arbeitet er mit Symmetrien und Spiegelachsen. Damit bezieht er sich sowohl auf die Gestaltungsprinzipien der Natur als auch auf die frühesten ästhetischen Äußerungen der Menschheit, das Ornament. Symmetrie ist bekanntlich ein wichtigesMoment zur Erzeugung und bei der Empfindung von Schönheit, mathematisch-exakt wäre Symmetrie jedoch spannungslos und langweilig. Der besondere Reiz von Bodo Korsigs Bildwelt liegt denn auch darin, dass er die stark reduzierten und häufig symmetrischen Formen mit großer Sensibilität und Lebendigkeit umsetzt. So schneidet und ritzt er neben größeren Flächen auch feine, nervöse Linien in den Holzstock. Traditionellerweise wird diese Hochdrucktechnik Weißlinienschnitt genannt, weil die eingeschnittene Linie im Druck weiß erscheint. Bodo Korsig druckt jedoch den weiß eingefärbten Stock auf einen schwarzen Untergrund. Die nun dunkel erscheinenden Ritzungen haben so die Spontaneität von Handzeichnungen. Die sensible, zarte Linie steht übrigens auch im Kontrast zu dem Schriftzug, der ganz anonym druckschriftlich, nicht individuell handschriftlich aufgefasst ist.

In der Ausstellung werden neben Holz- und Linolschnitten außerdem Skulpturen aus Holz, Aluminium und Keramik präsentiert, so dass Bodo Korsigs Auseinandersetzung mit der Neurobiologie auch räumlich erfahrbar wird. Und so kann im Medium der Kunst auf spielerische Weise an der Schnittstelle von Alltagserfahrung und naturwissenschaftlichen, philosophischen und ethischen Fragestellungen über so komplexe Phänomene wie das menschliche Erinnern und Vergessen, den Zusammenhang von Körper, Geist und Seele oder den biologischen Aspekt unserer Gedanken und Gefühle reflektiert werden

Isabell Schenk-Weininger