Dr. Roland Augustin
Eröffnung der Ausstellung
My soul is dirty
Lemgo städtische Galerie Haus Eichenmüller
So 17. Oktober 2004 11h30
Sehr geehrte Damen und Herren,
ich freue mich sehr heute in die Ausstellung von Bodo Korsig einführen zu dürfen und bedanke mich herzlich für die freundliche Einladung. Bodo Korsig wurde 1962 in Zwickau geboren. Er studierte von 1986-1990 Steinrestaurierung in Berlin und wurde 1992 als Dozent an die Europäische Kunstakademie in Trier berufen. Korsig lebt heute in Trier und New York. In weniger als zehn Jahren wurde er mit fünf Kunstpreisen geehrt und seine Arbeit im gleichen Zeitraum mit sechs internationalen Stipendien honoriert.
Was Sie heute zu sehen bekommen, wird Sie verwundern und zwar in mehrfacher Hinsicht. Erstens wird es Sie erstaunen, dass Sie vor Holzschnitten stehen, die deutlich anders aussehen, als das, was aus dem Werk Albrecht Dürers aber auch des Expressionismus in unser Bewusstein gedrungen ist. Zweitens widersprechen Korsigs Arbeiten unserem Bild von Holzschnitten, die hier nicht wie zu erwarten auf Papier, sondern auf Leinwand gedruckt sind. Drittens sind sie auch entgegen unserer Erwartungen nicht klein, sondern von beachtlicher Größe und sie sind nicht flach, sondern bilden Quaderkörper.
Bis auf die räumlichen Objekte, die wegen ihrer Schwärze uns an Druckstöcke erinnern, handelt es sich bei einem großen Teil der Exponate nicht um Bilder im herkömmlichen Sinne, sondern um Kombinationen von Bild und Text. Unsere alltägliche Erfahrungswelt lehrt uns, dass, Texte Bilder erläutern. Wir kennen dies von unseren Besuchen im Museum, in dessen Sälen unser Blick nur allzu oft zuerst auf die Schilder neben den berühmten Kunstwerken fällt, die uns verraten, wer für das Werk zur Verantwortung zu ziehen ist, wann es entstanden ist und welchen Titel es trägt. Wir kennen die Text-Bildpaarung aus der Zeitung von den Bildunterschriften unter den Pressefotos. So wird uns Glauben gemacht, dass das Geschriebene tatsächlich fotografisch belegt werden kann. Wir kennen die Kombination von Bild und Text noch aus den Schulbüchern, in denen betextete Bilder die zwangsläufig mit dem Lernen verbundene Ermüdung verhindern, aufhalten oder zumindest verzögern sollen. Die pädagogische Kultur der Text- und Bildpaarung erfand im Wesentlichen für unser neuzeitliches Leben Johann Amos Comenius, der so die Leistung des Erinnerungsapparats, unseres Gehirns steigern wollte und dies auch zuwege brachte. Wir sind jetzt nicht nur in der Geschichte angelangt um neuzeitliche Ursprünge für Text- und Bildpaarung aufzuspüren, sondern auch um zu zeigen, dass in dieser Zeit die Druckgrafik entstanden ist, die eine solche Paarung mit einem gewissen Verbreitungsgrad erst garantieren konnte. Es handelt sich um eine Strategie, die damals schon sich wegen ihrer Einprägsamkeit bestens auch zur politischen Propaganda etwa in Form von Flugblättern eignete. Die Schrift verliert ihr elitäres Dasein. Schrift und Text sind in der Neuzeit ein Bewusstsein erweiterndes Kulturinstrument geworden, das unsere bildhafte Wahrnehmung in Zeichen übersetzt. Comenius empfiehlt für das Erlernen einer Fremdsprache, das fremde Wort z. B. für „Vogel“ gemeinsam mit der Übersetzung auch das Bild eines Vogels zu memorieren. An diese Übersetzbarkeit haben wir uns gewöhnt. Heute analysieren Semiologen Strategien von Kodierung und Dekodierung und die Möglichkeiten entweder Manipulationen zu ermöglichen oder aufzudecken.
In Korsigs Bildern wird diese Übersetzbarkeit gebrochen und hinterfragt. In „erase your past“ fordert der Text den Betrachter auf, seine Vergangenheit auszulöschen. Direkt neben diesem Text erkennt man auf weißem Grund eine biomorphe Figur, durch deren verschlankte Taille ungeometrische Linien gebündelt werden, die in vibrierender Kreisform um die untere Verdickung herum fahren. Wie in anderen Tableaus von Korsig entstehen beim Betrachter Assoziationen mit Kernen von Nervenzellen, ihren Membranen und Zellwänden. Zwar erinnern uns die Formationen an neurobiologische Modelle, Schemen oder Bilder mikroskopischer Ansichten. Konkrete wissenschaftliche Vorbilder gibt es für Korsigs Bilder aber nicht. Der entscheidende Punkt ist aber, dass es dem Bild gelingt in uns Betrachtern dennoch diese Verknüpfung herstellen. Der Betrachter ist nicht mehr allein in der Rolle des Wahrnehmenden, vielmehr wird er Bestandteil eines Memorierungsprozesses, in dem der Text „erase your past“ mit dem eben beschriebenen Bild, dem Ikon verknüpft wird. Der Betrachter ist nicht mehr allein der sehende Akteur, sondern er wird auch zum Befehlsempfänger des Bildes. Wir werden Teil eines Vorgangs, der vom Bild ausgelöst wird, in dem das Bild uns anschaut und uns auffordert Bild-Text-Verbindungen herzustellen – zu kodieren. Wir sind nicht mehr erkennendes Subjekt, sondern Objekt in einem Lern- oder Wahrnehmungslabor. „Erase your past“ kann als Befehl verstanden werden, der an den Betrachter gerichtet ist. Es besteht aber auch die Möglichkeit, den Satz so zu lesen, dass das Bild – das vom Dünnen eingeschnürte Dicke – als Subjekt des unvollständigen Satzes „erase your past“ zu verstehen ist. Das hieße, dass die Formen, die uns an Bilder eines Neurons oder an das Detail einer Synapse erinnern, unsere alten Kodierungen, unsere Vergangenheit löschen. Erstens weil alles, was wir bisher mit dem Text assoziiert haben von nun an ersetzt wird. Von jetzt an assoziieren wir das vom Dünnen eingeschnürte Dicke mit dem Satzfragment „erase your past“. Zweitens wird das, was wir mit der Figur assoziieren, nämlich biogenetische Molekülklumpen aus der zellulären Mikrowelt, von der Wissenschaft dafür verantwortlich gemacht, in unserem Hirn Vergessen auszulösen. Denn auch das Gegenteil des Memorierens, das Vergessen ist ein Vorgang, der in Wechselwirkung verschiedener Zellfunktonen im Gehirn stattfindet. Eingeprägtes wird eingeebnet. Und in sofern ist auch das Drucken, jenes grafische Verfahren, das Korsig zur Herstellung seiner Bilder einsetzt, ein Vorgang, der dem des Gedächtnisses ähnlich ist. Dass nämlich ein Gegenstand an einem anderen Ort eine Form als Spur, also ein Abbild seiner Anwesenheit hinterlässt ist ein Grundmechanismus des Wahrnehmens wenn sich Bilder oder Gefühle im Kopf einprägen oder einbilden. Die Erinnerung an Sinneswahrnehmungen ermöglicht Denken und Bewusstsein. Ein Bild ist gespeicherte Wahrnehmung, jedenfalls bei John Locke. Gleichzeitig erkennt man hier eine Umschreibung des Druckvorgangs in den grafischen Künsten: Das gedruckte Bild, der Abdruck, ist immer Zeuge eines Vorgangs in der Vergangenheit. Das gedruckte Bild ist immer Spur der Anwesenheit eines Gegenstandes. Zwangsläufig weist diese Spur genau so wie eine Erinnerung immer in die Vergangenheit zurück. Insofern sind Korsigs Drucke hinsichtlich des Entstehungsprozesses genau das Gegenteil dessen, was der Text „erase your past“ vorgibt in Gang zu setzen.
Auf der anderen Seite weisen Bodo Korsigs Arbeiten immer auch auf Lebenssituationen hin, die wahrscheinlich jeder in der ein oder anderen Form einmal erlebt hat. Jeder hat das ein oder andere im Kopf, ein Stück seiner Vergangenheit, das besonders schmerzt oder das besonders peinlich ist, etwas, das nicht zu seinem Ich-Entwurf passt, das er am liebsten auslöschen würde. Verdrängung gehört zu den Meisterleistungen des menschlichen Gehirns. Und auch in gesellschaftlicher Hinsicht spricht man häufig von einem kollektiven Verdrängen. Man erinnere sich an das bundesdeutsche Umgehen mit der Nazi-Vergangenheit in den fünfziger und sechziger Jahren. Aktueller ist natürlich der Umgang mit der DDR Vergangenheit, die natürlich hinsichtlich einer Kultur des Verrats und der Gewalt auch in Bodo Korsigs Biografie Spuren hinterlassen hat, deren Verarbeitung immer noch im Gang ist, wegen ihrer Schmerzhaftigkeit auch zum Teil verdrängt werden muss.
Das Gehirn vollzieht die entsprechenden Schaltungen, die in uns das Seelische ausmachen. Manchmal möchte man ganz gern das eigene Gehirn austauschen, vielleicht mit einem, in dem keine oder weniger schmerzhafte Erfahrungen gespeichert sind oder vielleicht mit dem eines Genies, vielleicht mit dem Gehirn Einsteins. Aber Korsigs Bild „headtransplant“ macht auch die Konfusion deutlich, in die man schon bei dem Gedanken an eine Kopftransplantation geworfen wird. Wir können uns noch daran erinnern, als Herztransplantationen noch nicht wie heute zum Alltag gehörten. Die Patienten wurden befragt, wie es sich lebe mit einem fremden Herzen, das ganz ähnlich wie das Gehirn in unserem Sprachgebrauch als Synonym für den Sitz der Seele genannt wird. Und man erwartete von den Befragten indirekt, dass sie etwas von der Fremde in ihrem Körper berichten, dass sie etwas äußern, dass auf das Monströse eines Flickwerks aus fremden Körperteilen in ihnen hinweist. Stärker mit der persönlichen Identität verbunden als das Herz ist jedoch das Gehirn. Und die Frage wer man eigentlich sei mit einem fremden Kopf, die Rumpfperson, oder die Kopfperson, wirft uns in tiefes Unbehagen. Aber würde man die Liebe empfinden wie die Kopfperson und sie vollziehen wie die Rumpfperson? Kann es jemals auf diesem Wege eine Identität geben?
“Who am I when I am sleeping?“ Wer kann diese Frage schon gewissenhaft beantworten. Wie viele Träume gibt es, an die man sich nicht mehr erinnern kann und kommt es nicht manchmal vor, dass das wache Ich sich auf gar keinen Fall mit dem Ich im Traume identifizieren möchte oder kann? Vielleicht ist man – und das ist das Beunruhigende an den Untersuchungen Sigmund Freuds – während des Schlafs eine Persönlichkeit, die man unter den Bedingungen des Tages und des Verstands zutiefst verabscheut. In Träumen wickelt man oft genau das aus, was am Tage das Bewusstsein stört, was sorgfältig verpackt und im Unterbewusstsein deponiert wurde. Und auch diese Multiplizierung der Persönlichkeit muss nach den biologisch-medizinischen Erkenntnissen auf die Arbeit von Zellmembranen, Spannungen in den elektrisch geladenen Konzentrationen von Zellflüssigkeiten in den Nervenzellen des Gehirns zu verorten sein. – Kaum vorzustellen!
„Have I told you I love you?“ Letztendlich sind es auch diese großartigen Ausnahmezustände des Verliebt Seins mit den typischen und auch hinreichend besungenen Erscheinungen einer veränderten Wahrnehmung. Korsig aber reißt uns aus der Vorstellung heraus, dass es sich hier um eine metaphysische Verzückung der Seele handelt, vielmehr hängen auch diese Gefühle von Funktionen der Körperzellen ab. Wenn uns seit der Emblemliteratur des 16. Jahrhunderts Texten zur Liebe Bilder von flammenden Herzen zur Seite gestellt werden, nehmen die Bilder Korsigs in uns eine Neukodierung vor. Bilder, die uns an Zellen erinnern, letztlich sich aber doch von der Ausbeute eines Elektronenmikroskops unterscheiden, müssen in der Welt kaum noch begrenzter medizinischer Szenarien an die Stelle von flammenden oder von Pfeilen durchbohrten Herzen treten.
„I have that burning sensation again“ Auch hier weit und breit kein brennendes Herz, vielmehr eine Assoziation von schmerzhafter Abhängigkeit in einer Form, einer Figur, die an einen Angelhaken erinnert. Wenn die Liebe humanbiologisch eine Art zelluläres Ausnahme- oder Fehlverhalten darstellt, das zur Ausschüttung von Glückshormonen führt, dann ruft das in uns etwas wach, das an die Gefahr von Krankheiten erinnert, die ebenfalls von einem Fehlverhalten der Zellen resultieren: Krebs. „Lovecancer“ – Manche werden tatsächlich krank vor Liebe andere auch durch die Liebe.
„My soul is dirty“ – „My mind is dirty“ vielleicht aus Liebe oder schlicht von der Vergangenheit verunreinigt. Bedenken Sie, dass es auch die Bilder sein können, die Korsig zu uns sprechen lässt. Es ist etwas, das vielleicht aussieht wie diese Neuronen –Quallen – Form, die an Modelle von Enzymen erinnert, Stoffe, die in der Lage sind, die Seele oder das Bewusstsein von Ratio auf Triebhaftigkeit umzuschalten. Auch im Betrachter, der durch die Text-Bildkodierung direkt in einen Prozess des Umlernens verwickelt wird. Schon bei der Assoziation der Formen mit neurozellulären Details wird der Betrachter in punkto Kritikfähigkeit von Korsig auf die Probe gestellt. Denn letztendlich ähneln Korsigs Formwesen mikrobiologischen Körpern, stellen sie aber nicht im Sinne einer Repräsentation dar. Wir überprüfen beim Anblick von Korsigs Bildern auch bei jenen, in denen er keine Textkombinationen konstruiert, automatisch unser kritisches Instrumentarium. Sehe ich eine Fieberkurve, oder ein Diagramm eines dramatischen Börsenwertverlaufs oder ist es der Umriss eines Bergs. Letzten Endes stört Korsig in ebenso produktiver und erhellender Weise unsere Gewohnheiten das Bedeutende mit dem Bedeuteten zu verknüpfen.
Ich möchte hier schließen aber nicht ohne zuvor der Ausstellung großen Erfolg zu wünschen und ihnen viel Vergnügen.
Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit!