Dr. Christoph Kellendonk
Dr. Gael Mallet
Zentrum für Neurobiologie und Verhaltensforschung, Columbia-Universität New York
Zu Beginn des 19. Jahrhunderts behauptete der Wiener Arzt Franz Joseph Gall (1758–1828), dass unser Denken und Fühlen biologischer Natur sei und im Gehirn stattfinde. Diese These stand im Widerspruch zum dualistischen Denken René Descartes, welches Körper und Geist trennte und daher der Ideologie der katholischen Kirche stärker entgegenkam. Galls These revolutionierte nicht nur die Wissenschaft, sondern war von großer Bedeutung für die gesamte Gesellschaft. Bis zum 19. Jahrhundert wurde unser Geist hauptsächlich von Philosophen studiert und Selbstbeobachtung war das Mittel, unser Denken zu erfassen. Mitte des 19. Jahrhunderts wurde die Introspektion mehr und mehr durch experimentelle Ansätze verdrängt und eine neue Wissenschaft entstand: die experimentelle Psychologie. Zu Beginn befasste sie sich hauptsächlich mit Sinneswahrnehmungen, später wurden aber auch komplexere Verhaltensweisen wie Lernen, Gedächtnis, Aufmerksamkeit und bewusste Bewegungsabläufe studiert.
Gall und seine Nachfolger erkannten, dass das Gehirn nicht nur unser Verhalten steuert, sondern dass es in unterschiedliche Regionen unterteilt ist, die für verschiedene mentale Prozesse verantwortlich sind. Heute wissen wir, dass die verschiedenen Gehirnregionen anatomisch miteinander verbunden sind und funktionell interagieren. Zum Beispiel besitzen wir in unserer Gehirnrinde zwei Regionen, die wir zum Sprechen benötigen: die Wernicke-Region und das Broca-Areal. Die Wernicke-Region verwenden wir, um Sprache zu verstehen, das Broca-Areal, um Sprache zu erzeugen. Ein Patient mit einer zerstörten Wernicke-Region kann sprechen, aber die gesprochenen Sätze sind sinnentleert und der Patient hat Probleme, Sprache zu verstehen. Umgekehrt kann ein Patient mit zerstörtem Broca-Areal verstehen, aber hat Schwierigkeiten, grammatikalisch korrekte Sätze zu formulieren. Obwohl beide Bereiche für Sprache notwendig sind, reichen sie alleine für die Spracherzeugung nicht aus, da hierfür weitere Gehirnzentren rekrutiert werden müssen. Es ist die fein abgestimmte Zusammenarbeit verschiedener Gehirnzentren, die letztendlich zur Sprachentstehung führt. Wie die verschiedenen Gehirnzentren komplexes Verhalten steuern, ist eines der faszinierendsten Gebiete der Neurobiologie.
Doch trotz all unseres Wissens sind wir immer noch skeptisch, dass Geistesprozesse rein biologischer Natur und die einfache Konsequenz von elektrischen und chemischen Reaktionen im Gehirn sein sollen. Dies gilt insbesondere für unsere Gefühle, die wir unbewusst erleben und die sich daher oft dem logischen Denken entziehen. Unter Wissenschaftlern ist es hingegen allgemein akzeptiert, dass die Komplexität unseres Gehirns ausreicht, um unser Denken und unsere Gefühle zu steuern. Diese Komplexität entsteht durch die fast unendlichen Kombinationsmöglichkeiten, mit denen Nervenzellen im Gehirn miteinander verbunden werden können.
Bodo Korsigs Werk erkundet die Grenzen von Philosophie und Wissenschaft, indem sie Fragen über unsere eigene Identität und deren biologische Grundlage stellt. Wie können wir künstlich unsere Identität beeinflussen? Heutzutage können wir alles im Supermarkt kaufen oder im Internet bestellen. »Where can I buy a new brain?«. Ein »Head transplant« könnte einige Probleme lösen, z.B. schlechte Erinnerungen auslöschen (»Erase your past«) oder sich eines lebensgefährlichen Gehirntumors entledigen. Aber die meisten Biologen würden übereinstimmen, dass wir unser Gehirn nicht austauschen können, und zwar aus einem einfachen Grund: Wir sind unser Gehirn. Für Wissenschaftler können Geist, Identität und Gefühle nicht vom Gehirn getrennt werden. Bodo Korsigs »Where can I buy a new brain?« ist daher ein Widerspruch in sich selbst.
Trotzdem wurden in den frühen 1970er Jahren irrsinnigerweise Kopftransplantationen an Affen durchgeführt, die allerdings wenig Erfolg hatten, weil die Tiere nach spätestens dreißig Stunden starben. Die Hauptkomplikationen bei der Kopftransplantation sind zum einen, das Kreislaufsystem des Körpers mit dem des Kopfes zu verbinden, und zum anderen, die Abstoßung des Körpers durch das neue Gehirn. Zusätzlich entsteht das Problem, dass der Körper in seinem bisherigen Leben andere Erfahrungen gemacht hat als das transplantierte Gehirn. Obwohl Geistesprozesse, Gefühle eingeschlossen, vom Gehirn erzeugt werden, hat der Körper einen starken Einfluss auf das Gehirn und unseren Geisteszustand. Körper und Gehirn lernen gewöhnlich zusammen. Wenn wir Radfahren lernen, meistern unser Gehirn und unsere Muskeln die Aufgabe gemeinsam. Daher würde es keinen Sinn machen, das Gehirn eines Profiradsportlers auf den Körper eines Fahrradneulings zu setzen.
Ein anderes Beispiel: Wir wissen, dass emotionale Situationen zur Freisetzung von Hormonen in unserem Körper führen. Am bekanntesten ist der Adrenalinausstoß, den wir in Stresssituationen erleben. Adrenalin wird in der Bauchhöhle von der Nebenniere in den Blutkreislauf des Körpers freigegeben. Von dort wird es ins Gehirn transportiert, wo es dessen Aktivität und unsere Aufmerksamkeit beeinflusst. Die koordinierte Zusammenarbeit zwischen Körper und Gehirn steuert daher nicht nur unsere Bewegungskoordination, sondern auch rein kognitive Prozesse, wie z.B. unsere Konzentrationsfähigkeit.
Glücklicherweise besteht von keiner Seite Interesse daran, tatsächlich Gehirntransplantationen durchzuführen. Allerdings werden im Falle von neurodegenerativen Erkrankungen wie der Parkinson’schen und der Alzheimer’schen Krankheit neuerdings Gewebetransplantationen erprobt, welche die Situation der Patienten verbessern sollen. Bei der Parkinson’schen Krankheit sterben in einem bestimmten Gehirnareal, der Substantia nigra, jene Gehirnzellen ab, welche für die Herstellung von Dopamin zuständig sind. Dopamin ist ein wichtiger Botenstoff im Gehirn und als Konsequenz des Dopaminverlustes leiden Patienten mit Parkinson an Bewegungsstörungen, die mit andauernder Krankheit mehr und mehr zunehmen. Im Spätstadium haben die Patienten dann zusätzlich Probleme mit ihrer Konzentrationsfähigkeit und ihrem Kurzzeitgedächtnis. Sie werden normalerweise mit Medikamenten behandelt, die die Dopaminkonzentration im Gehirn erhöhen. Aber selbst bei den neuesten Arzneien lässt die Wirkung nach mehrjähriger Behandlung langsam nach und es stellen sich Nebenwirkungen wie ungewollte Bewegungsstörungen ein. Ein neuer Therapieansatz ist daher, Zellen, die Dopamin produzieren, ins Gehirn zu transplantieren, und zwar in jenes Areal, in welches die abgestorbenen Zellen projizieren. Der Ansatz steckt noch in den Kinderschuhen, aber trotz bislang negativer Ergebnisse hat er großes Potenzial, weil er es dem Gehirn wieder ermöglichen könnte, eigenes Dopamin zu produzieren.
Es stellt sich aber nun die Frage, ob das eingefügte Fremdgewebe die persönliche Identität des Patienten verändert. Bewahren wir seine Persönlichkeit, indem wir die Symptome der Krankheit verbessern oder verändern wir sie? Wenn unser Gehirn die Grundlage unseres Geistes darstellt und wir ersetzen Teile unseres Gehirns, dann verändern wir theoretisch auch unseren Geist. Aber was beeinflusst unsere Persönlichkeit mehr, die Krankheit oder das Transplantat? Letztendlich sollten wir praktisch vorgehen. Wenn die Transplantation das Leiden vermindert und die Krankheitsprognose verbessert, dann ist eine leichte Persönlichkeitsveränderung das geringere Übel.
Eines der faszinierendsten Geheimnisse der Biologie ist die ungelöste Frage, wie unser Bewusstsein funktioniert. Da es mit physikalischen Gesetzen schwierig zu beschreiben ist, ist die Bewusstseinsforschung ein sehr kontrovers diskutiertes Gebiet unter Biologen und Philosophen. Problematisch dabei ist, dass ein definierendes Merkmal unseres Bewusstseins die Subjektivität ist. Jeder von uns lebt in einer Welt von einzigartigen und individuellen Empfindungen und Sinneseindrücken. Unsere eigenen Ideen, Gefühle und Wahrnehmungen empfinden wir unmittelbar, aber was in den Köpfen unserer Mitmenschen vorgeht, können wir nur verstehen, indem wir es mit unseren eigenen Empfindungen vergleichen. Wie können wir daher subjektive Vorgänge objektiv messen, wenn wir nicht einmal wissen, ob wir beim Betrachten eines blauen Monochroms dieselbe Farbe sehen? Hinzu kommt, dass unser Bewusstsein eine unteilbare Einheit ist. Wenn wir eine Person ansehen und ihr zuhören, findet das Zuhören nicht unabhängig vom Ansehen statt. Beide Sinnesempfindungen sind vereint in einer Erfahrung. Zu einem bestimmten Zeitpunkt werden daher alle äußeren und inneren Reize als eine einzige, unzertrennbare Erfahrung wahrgenommen.
Da es unmöglich ist, gleichzeitig alle Faktoren, die unser Gehirn beeinflussen, wissenschaftlich zu messen, wird es schwierig sein, die Gesamtheit unseres Bewusstseins wissenschaftlich zu erfassen. Aus diesem Grund glauben viele Forscher und Philosophen, dass wir nicht in der Lage sein werden, unser Bewusstsein zu erforschen. Im Gegensatz dazu argumentiert die Philosophin Patricia Churchland, dass Wissenschaftler beim Verstehen der neuronalen Grundlage vom Farberkennen große Fortschritte gemacht haben, ohne zu wissen, ob wir alle dasselbe wahrnehmen, wenn wir die Farbe Blau sehen. Da die Farbwahrnehmung aber ein bewusster Vorgang ist, erforschen wir Bewusstsein, wenn wir die Biologie der Farbwahrnehmung untersuchen.
Werden wir je die Grundlage unseres Denkens und Fühlens verstehen? Wir wissen es nicht. Aber allein was wir schon heute über unsere Denkprozesse und ihre Grundlage, das Gehirn, wissen, ist faszinierend. Bodo Korsigs Bilder und Skulpturen machen diese Faszination anschaulich und begreifbar.