Brainpower
Bodo Korsigs Frankfurter Installation im Haus am Dom
Seit rund fünfzehn Jahren ist das werkbestimmende Thema in Bodo Korsigs Schaffen die Auseinandersetzung mit den Wegen und Bedingungen des Denkens und Fühlens. Vom sogenannten Bauchgefühl einmal abgesehen, gilt dabei seine Konzentration der Tätigkeit des menschlichen Gehirns, das er als Querschnitt, stark abstrahiert oder als Zellform von Neuronen visualisiert. Korsig interessieren die Grenzzustände des Hirns, die neurologischen Prozesse als Reaktion auf existentielle Extrembedingungen wie Angst oder Gewalt. Voraussetzung künstlerischer Beschäftigung mit solch komplexer neurophilosophischer Thematik ist ein Einblick in die Geschichte der Hirnforschung: Die Frage nach den Methoden des Denkens ist seit der antiken griechischen Medizin und Philosophie wesentliche Grundlage zum Verständnis des Homo sapiens. Seit der frühen Neuzeit prägend, und in der Vorstellung vieler Menschen auch heute noch virulent, ist der sogenannte cartesianische Dualismus mittlerweile naturwissenschaftlich überholt. René Descartes erklärte die Gehirnleistung mit der Einwirkung der von den Sinnesorganen weitergeleiteten Reize auf den immateriellen Geist. Seine epochale philosophische Feststellung cogito ergo sum setzt das Denken an sich als absolute Norm und definiert das Sein über den Erkenntnisgewinn des Denkens. Die Gehirnfunktionen werden heute allerdings biochemisch erklärt, Synapsen und Neurotransmitter setzen dem philosophischen Romantizismus einer dualistischen Metaphysik inzwischen arg zu.
Ein Grundzug in Bodo Korsigs Schaffen ist die Dekonstruktion von Motiven, Themen und Dingen zu Symbolen, zu einer abstrahierten Formenwelt: Exemplarisch und überaus einprägsam als Icon ist seine Arbeit Don’t follow me!, der Schnitt durch ein Gehirn als Beschreibung allen Denkens, ein großformatiges Relief aus poliertem Chromstahl, entstanden 2010. Daneben besonders auffällig in seinem Archiv der Piktogramme sind die schematisierten, abstrahierten Nervenzellen mit Zellfortsätzen, die immer wieder in den Arbeiten auftauchen, gewissermaßen als Markenzeichen fungieren. Diese Piktogramme sind direkt und ohne Umwege ansprechend. Korsigs Arbeit ist nicht nur hier fordernd – wenn es in einem Bild No excuses heißt, dann ist der Betrachter im Zugzwang, er hat keine Wahl und keine Ausreden, er muss sich einlassen oder gehen. Aber wer würde schon gehen, wenn ihm Erkenntnis winkt?
Die Sentenz des französischen Moralisten Jean de la Bruyère Jemanden vergessen wollen, heißt an ihn denken ist eine bissig-ironische Anleitung zur Erinnerung, und damit zur Reise in die Vergangenheit, wie Bodo Korsig eine seiner Installationen genannt hat. Unsere Existenz ist bei solchen Reisen im dialektischen Sinn ein unsicheres Verbindungsstück zwischen Vergangenheit und Zukunft, ein Scharnier, das sich im Grundsätzlichen befragt, ja befragen muss – wobei das Bedrohliche des Gestern zur Hypothek von morgen mutiert. Korsig ist ein agent provocateur in unseren Hirnwindungen – ist er erst eingedrungen, wird er omnipräsent, denn er infiltriert durch seine Bilderfindungen unsere Erinnerungen. Natürlich sind seine Bildsymbole nicht seine eigenen Bilder, es sind unser aller Bilder, und deshalb reagieren auch alle Betrachter auf dieses eigene imago. Das ist das offene Geheimnis der Bilder und Skulpturen Korsigs: wir begegnen unseren ungedachten, verdrängten Erinnerungen und das lässt uns nur schwer wieder los.
Denn Korsigs Icons sind zweifellos Auslöser von Erinnerung, sie stoßen einen neurologischen Prozess an: Nach der Initialisierung des Erkennens läuft ein visueller scan der Gedächtnisinhalte ab, der eben nicht nur objektive Treffer liefert, sondern tiefe Erinnerungsschichten aufreißt, begehbar macht und damit enorme Emotionen wecken kann. Der Ausdruck von Emotion hat eine kongruente Schnittmenge mit künstlerischem Gestalten, denn Kunst ist immer auch Ausdruck von Emotion und man kann folglich sagen, dass die Kunst eine Emotion an und für sich beurteilt. Und genau hier ist der Ansatzpunkt Bodo Korsigs – hier zeigt sich die dialektische Beziehung von Kunst und Leben, die er grundsätzlich in allen seinen Arbeiten thematisiert.
Die Abgründe, Krankheiten und Unzulänglichkeiten des Gehirns, ja das Verzweifeln an manchen Eigenschaften des Denkorgans haben Korsig den suffisant-anarchischen Titel Where can I buy a new brain? als Steilvorlage an die Hand gegeben. Natürlich ist das auch sarkastisch und ironisch, aber der Ernst der Frage bleibt: man möchte doch gern das Oberstübchen ausfegen, genauso wie man’s mit der Wohnstube hält. Trocken und sauber – eben kein brackiges Hirnwasser mit verstaubten Ideen. Die Krankheiten des Hirns sind dabei schrecklicher und allseits bekannter Teil der condition humaine: Traumata, Alien Hand, Depression, Schlaganfall, Parkinson sind Dauerbedrohungen des Menschen, die ständig im Unterbewußtsein lauern. Head transplant hat Bodo Korsig einen seiner Holzschnitte genannt – aber das ist natürlich auch keine Lösung, denn das Gehirn ist (noch) nicht austauschbar wie eine Leber, und zwar „aus einem einfachen Grund: Wir sind unser Gehirn“
Für die Lichtfuge des Frankfurter Hauses am Dom, einem alle Ebenen verbindenden vertikalen Hallenfoyer, hat Bodo Korsig eine beeindruckende, große, raumgreifende und raumbeherrschende Installation geschaffen, die in ihrer Komplexität die architektonische Setzung dominiert – Lufthoheit wäre wohl das falsche Wort, scheint aber dennoch treffend. Ein Werk in Höhenentwicklung, alles schwebt und alles ist im Fluss, den Verweis auf die Formel panta rhei teilt Korsigs Arbeit mit allen Mobiles, denen der Wechsel räumlicher Beziehungen eigen ist. Nach allem oben bereits Angesprochenen reflektiert eine solche Rauminstallation natürlich auch die Nerven- und Gedächtnispartikel des Neuron-Synopsen-Matrix-Universums in unserem Hirn. Das Thema ist eine Zeitreise Korsigs in seine persönliche Vergangenheit, ursprünglich von ihm Rückerinnerung genannt, mit Objekten aus der Kindheit. Prominent präsentiert ist ein genoppter Schnuller, den der Künstler im Gespräch drastisch-eloquent und völlig treffend als „erste Verarsche“charakterisiert. In der Tat ist der Schnuller ja „ein Beispiel moderner Ikonographie für die Kindheit, ein künstliches Trostobjekt als ein Symbol der erzwungenen Ruhe.“ Dagegen sind die grausamen Noppen des Schnullers natürlich keineswegs Symbol für ein seelig schlafendes Kleinkind. Sie verwandeln den Schnuller in einen nagelgespickten Totschläger, die schöne Kindheit zeigt ihre hässliche Fratze.
Ein auffälliges Element der Installation sind die Schriftreliefs mit kurzen prägnanten Sätzen beziehungsweise Statements oder Aufforderungen wie MACHMICHAN oder SaltoSprungDesBewusstseins oder enjoymoremadness – teils witzig, teils nachdenklich, teils subversiv. Es geht neben den inhaltlichen Implikationen auch um die visuellen Qualitäten von Schrift, der Text wird zum eigenständigen Bildmedium, die graphische Notation zum plastischen Ereignis. Abgesehen davon, dass sich entwicklungsgeschichtlich die Schriften aus Piktogrammen entwickelt haben, sind die künstlerischen Wurzeln dieser Arbeiten im Lettrismus, im Mixed Media, wie auch in der Pop Art zu verorten. Korsig emanzipiert sie jedoch einerseits ganz entschieden, integriert sie aber auch nachvollziehbar in sein installatives Gesamtkunstwerk. Der Reiz liegt hier auch in der Wechselbeziehung von Wort und Bild und der Verbindung von Schrift und Zeichnung, von Lesbarem und Unlesbarem, von Direktheit und Verschlüsselung.
Heinz Höfchen
Don’t think twice – it’s all right.
Robert Allen Zimmerman
Jean de la Bruyère, Les Caractères IV, Paris 1689
Christoph Kellendonk, in: Ausst.-Kat., Bodo Korsig, Where can I buy a new brain?, Städtische Galerie Bietigheim-Bissingen 2006, S. 40.
Im Gespräch mit dem Autor am 18. Juli 2014.
Eve Wood, in: Ausst.-Kat., Bodo Korsig, Limits, Stadtgalerie Saarbrücken 2011, S. 7.