Acrylfarbe/Keramik, Installation
»Where can I buy a new brain?« lautet der Titel der aktuellen Ausstellung in der Städtischen Galerie Bietigheim-Bissingen.
Mit solch provokanten und irritierenden Formulierungen konfrontiert uns der in Trier und New York lebende Künstler Bodo Korsig in seiner jüngsten Werkgruppe, die seit 1999 entsteht.
Seit einigen Jahren beschäftigen ihn vorwiegend biologisch-medizinische Themen und ganz besonders die Hirnforschung. Für die künstlerische Annährung an dieses hochkomplexe Wissensgebiet hat er ein teilweise von medizinischen Darstellungen inspiriertes, doch auch autonom zu lesendes abstraktes Formenvokabular entwickelt. Die intensive Beschäftigung mit der Neurobiologie und ihrem Bildrepertoire von Nervenbahnen, Synapsen, Zellstrukturen führte ihn zu großformatigen Grafiken und Buchobjekten, in denen er die organischen Formen in schwarzen Silhouetten und signethaft bunten Farbfeldern darstellt.
In seinen schwarz gefärbten Objekten aus Holz, Aluminium und Keramik werden seine ausdrucksstarken Bildchiffren zudem räumlich erfahrbar, denn neben den großformatigen Holz- und Linolschnitten präsentiert die Ausstellung auch Skulpturen. Diese sind zumeist aus Holz oder Aluminium gesägt und tiefschwarz eingefärbt. Der Betrachter weiß dadurch zumeist nicht, um welches von beiden Materialien es sich handelt. Die dunkle Farbe, die im Kontrast mit der weißen Wand die Details verschwinden lässt, verhindert eine schnelle Identifizierung. Der Werkstoff tritt hinter der Form zurück, so dass nichts von ihrer Gestalt ablenkt. Während diejenigen Arbeiten, die flach vor der Wand platziert sind, dadurch grafische Qualität gewinnen, prägt »Talking with the enemy« gerade die räumliche Ausdehnung.
Fünfundzwanzig zwischen 20 und 100 cm große längliche Objekte ragen waagrecht aus der Wand. Sie nehmen die gesamte Raumhöhe ein, und der Betrachter wird, betritt er das Kabinett im Erdgeschoss der Galerie, von ihnen überragt und umgeben. Zwar sind auch sie schwarz bemalt, ihre Oberfläche unterscheidet sich jedoch deutlich von den glatten Objekten aus Holz oder Aluminium. Bei genauerem Hinsehen weisen sie eine raue, irdene Struktur auf. Bodo Korsigs Freude an überraschender Materialvielfalt lässt ihn auch Keramik als skulpturales Material wählen.
Die Kenntnis des Materials erst offenbart die handwerkliche Perfektion des Werkes. In Zusammenarbeit mit einer Keramikerin wird jede Form einzeln Ring für Ring per Hand als Hohlform aufgebaut. Anschließend werden sie mit Raspeln und Schmirgelpapier bearbeitet, um die spezifische Oberflächenstruktur, die an organisches Material, an Haut oder Rinde erinnert, zu erzielen. Minutiös werden dann die verschiedenen Details der zahlreichen kleinen Ausstülpungen und ringförmig eingefassten Öffnungen geformt, die die Außenhaut überziehen und die bei jedem Objekt verschieden aussehen. Anders als beim Arbeiten mit einer (Guss-)Form, gleicht bei dieser aufwändigen Arbeitsweise nach dem Brennen kein Stück dem anderen.
Die reduzierte Farbigkeit und eindeutige Formensprache verleihen der gesamten Installation einen ästhetischen Reiz und eine große Anziehungskraft. Begibt man sich zwischen die schwarzen Zapfen, so beschleicht einen jedoch ein zunehmendes Unwohlsein. Ein Grundmerkmal von Bodo Korsigs Arbeiten besteht darin, dass seine Formenwelt uns eigenartig vertraut und gleichzeitig fremd erscheint. Seine Motive sind in der medizinischen Welt im wörtlichen Sinne mikroskopisch klein. In der vielfach vergrößerten künstlerischen Übertragung jedoch erhalten sie etwas Bedrohliches, gar Abstoßendes. Bei den druckgrafischen Werken können wir uns diesen Darstellungen aus sicherem Betrachterabstand nähern, und auch die „sachlichen“ Schriftzüge, mit denen die Bildfelder kombiniert werden, bewirken eine gewisse Distanz. Bei »Talking with the enemy« aber umfängt das Werk den Betrachter. Plötzlich wird dieser klein und die an Zotten im Körperinneren erinnernden Objekte werden riesig groß. Betrachtet man beim Rundgang durch die Ausstellung die Bildwelt Bodo Korsigs meist von außen wie in einer überdimensionierten Petrischale betrachtet, so stößt man nun mit entgegengesetzter Blickrichtung ins Körperinnere vor. Faszination und Erschrecken wechseln einander ab. Der Künstler ermöglicht so dem Betrachter eine unmittelbarere Form des Erlebens. Jedoch sollten wir, sensibilisiert durch Bodo Korsigs freien Umgang mit dem Inspirationsmaterial, auf der Hut sein. Im Kontext der Ausstellung liegt zwar ein biologisch-menschlicher Zusammenhang nahe, aber wir befinden uns schließlich auf dem Gebiet der künstlerischen Erfindung. Könnten es nicht auch Tiere oder Pflanzen einer maritimen Unterwasserwelt sein, die den Künstler und Sporttaucher inspiriert haben? In jedem Fall wird am eigenen Leib erfahrbar, dass die spezifischen Erkenntnismittel der Kunst in unserer immer spezialisierteren Welt eine einzigartige Möglichkeit bedeuten, hochkomplexe Fragestellungen spielerisch und sinnlich, mit Witz und doch ernsthaft anzugehen.
Oliver Kornhoff